Bürgerbeteiligung in Neu-Isenburg:

Neu-Isenburg, die Mitmachstadt!

 

Am 08/09.03.2013 hat die Stadt Bürgerinnen und Bürger zur Präsentation  der Planideen zum Stadtquartier Süd in Neu-Isenburg eingeladen. Objektiv aus der Sicht der Stadtplanung ein stadtpolitisch herausragendes Ereignis mit bedeutender Auswirkung auf Generationen hinaus, weil jetzt die Grundlagen für eine Stadtentwicklung in die eine oder andere Richtung gelegt werden. Sechs Architektenbüros stellten am Freitag am frühen Abend in knapp zwei Stunden ihre Arbeitsergebnisse anhand von Modellen und moderner Multivisionstechnik im Plenarsaal des Rathauses vor. Am Samstag von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr hatten die Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit, sich wieder zwei Stunden lang näher zu informieren und die Modelle und Pläne mit den Architekten zu erörtern. Die Meinungsäußerungen der Bürgerinnen und Bürger zu den Planungsvorschlägen wurden von Berichterstattern unter fünf Kriterien zusammengefasst: 1. Wie gelingt es in den Entwürfen Bezüge zur Nachbarschaft herzustellen? 2. Wie wird die Mischung von Wohnen und Arbeiten bewertet? 3. Wie gut funktioniert das Verkehrskonzept? 4. Ist das Angebot öffentlicher und privater Freiräume akzeptabel? 5. Wie gut dürfte sich der jeweilige Entwurf stufenweise umsetzen lassen? Hierzu stellte dann ein Empfehlungsbeirat zusammenfassend einen Planungsvorschlag vor, über den die Stadtverordnetenversammlung am 20.03.2013 Beschluss fassen soll.

Wer macht mit?

Wer sich am Freitag und am Samstag im Rathaus umschaute, sah sich in Gesellschaft von etwa 150 Personen. Rechnet man die Personen ab, die aus berufsbezogenen Gründen (Mitarbeiter von Planungsbüros, Veranstaltungsorganisatoren, Beirat sowie Amtspersonen und städtische Mitarbeiter) an der Veranstaltung teilnahmen, kamen so gut 90 bis 100 Personen zusammen. Von diesen Personen musste der kundige Beobachter der Politik- und Vereinsszene gut drei Viertel namentlich oder vom häufigen Sehen kennen. Da war man unter sich. Die Verständigung über die Entwürfe erfolgte entlang der bekannten Lager. Das war kein Klima für spannende Debatten.

 

Warum kamen so viele nicht?

Es stellt sich die Frage, weshalb die formierte Bürgergesellschaft der Stadt so in der Mehrheit war. Weshalb kamen so wenige ungebundene Bürgerinnen und Bürger? Lag es an der Veranstaltungsform oder dem Desinteresse an der Stadtplanung? Vielleicht. Vom Zeitablauf her richtete sich die Veranstaltung eher an „Zeitreiche“, die sich also freitagabends ab 18.00 Uhr freimachen und am Ende eines Arbeitstages noch genug Energie für eine solche Veranstaltung aufbringen konnten. Lag es an der Werbung für diese Bürgerbeteiligung? Tatsächlich wurde in der Öffentlichkeit wenig informiert. Jedes mittlere Tourneetheater, das in der Hugenottenhalle gastiert, übertrifft die Öffentlichkeitsarbeit der Organisatoren nicht nur um das Mehrfache, sondern absolut und ganz und gar wegen fast kompletten Ausfalls. Die Öffentlichkeitsarbeit zur Bekanntmachung des Projekts und Mitteilung der Ziele beschränkte sich auf Zeitungsmeldungen und auf eine nicht leicht navigierbare Website auf der Homepage der Stadt. Erreicht man so die Bürgerinnen und Bürger der Stadt? Klar, man war auf „facebook“ und konnte „twittern“. Aber die „friends“ und „followers“ waren doch – wie man sieht - am entscheidenden Tag eher „offline“.  Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Mitmachpegel sehr gering war.

War das Bürgerbeteiligung?

Wie viele Bürgerinnen und Bürger müssen kommen, damit man von einer wirklichen Bürgerbeteiligung sprechen kann? Eine durchaus nicht leicht zu beantwortende Frage, die jedoch angesichts mangelnder Mobilisierung und Werbung der veranstaltenden Stadt dahingestellt sein kann.  Aber auch das Verfahren der inhaltlichen Beteiligung an der „Entwurfswerkstatt“ war so ausgestaltet, dass man von einer Bürgerbeteiligung, die diesen Namen verdient, nicht sprechen kann. Haben das die vielen Bürgerinnen und Bürger, die nicht kamen, geahnt und kamen deswegen nicht? Es war für den unbefangenen Bürger einfach nicht ersichtlich, dass hier eine Bürgerbeteiligung seriös ins Werk gesetzt wurde. Bürgerbeteiligung - in welch‘ dosierter Form auch immer – setzt den Prozess einer kollektiven Willensbildung in Gang, die nach außen tritt, Wirksamkeit entfaltet. Wie war das in der Veranstaltung organisiert? Die Bürgerinnen und Bürger durften bunte Punkte auf Flipcharts zu planerischen Antworten der Architekturbüros zu den o.a. Fragen kleben und dies in der Reihenfolge einer Notenskala. Sie durften den Entwurf auch kommentieren. In diesen Handlungen erschöpfte sich die groß angekündigte Bürgerbeteiligung. Wir führen das nur der Vollständigkeit halber an, weil wir befürchten, dass irgendwer dies als Ausdruck der Bürgerbeteiligung ansieht. Pünktchenkleben als Mitwirkungshandlung ist ja schon albern. Als Ausdruck für Bürgerbeteiligung ist sie abwegig! Und wer das anders sieht, müsste behaupten, dass die Pünktchenskala ausgewertet wurde und die mündlichen Meinungsäußerungen der Bürgerinnen und Bürger willkürfrei und objektiv von den Berichterstattern zusammengefasst wurden. Das war einfach nicht der Fall!  Eine Auswertung des Bürgerwillens durch den „Empfehlungsbeirat“ war daher gar nicht möglich – und auch offensichtlich nicht gewollt. Es war nicht erkennbar, ob es dem „Empfehlungsbeirat“ überhaupt darauf ankam, diesen Bürgerwillen in Erfahrung zu bringen. Aufschlussreich war jedenfalls, dass der „Moderator“ des „Empfehlungsbeirats“ das durchaus (wenn auch verzerrt in der Berichterstattung) wahrnehmbare Für und Wider des Ergebnisses der Bürgerbeteiligung unberücksichtigt ließ und mit keinem Wort erwähnte. Bürgerbeteiligung –  Fehlanzeige!

Bürgerinformation statt Bürgerbeteiligung!

Auch in der anschließenden „Podiumsdiskussion“  war trotz Nachfragen beim besten Willen nicht ersichtlich, wie der Empfehlungsbeirat  inhaltlich zu seinem Votum kam, welches der Stadtverordnetenversammlung nun vorgelegt werden soll. Lag es am Moderator? Nein! Es dürfte eher daran gelegen haben, dass der Entwurf der Planungsbüros Albert Speer&Partner GmbH (Frankfurt am Main), dessen wesentliche Struktur vom „Empfehlungsbeirat“ übernommen wurde, von vornherein im Vorteil war. Das war sicher keine Überraschung. Die Investoren werden sicher wohlwollend auf die hohe bauliche Ausnutzung des Plangebietes in diesem Entwurf geschaut haben, die ein gutes Viertel über dem Durchschnitt der meisten anderen Entwürfe lag. Da liegt Musik in der Luft: Money makes the world go round!

Aber trotz Ahnung, man ist dann doch verstimmt, wenn es so läuft. Die schlichte Übernahme der wesentlichen Strukturelemente der Planung dieses Büros war dann doch zu banal für so viel Aufwand und Pünktchenkleberei! Es  bedurfte schon der engagierten rednerischen Intervention des Bürgermeisters in der Schlussrunde, dem aufkeimenden Unmut einiger Bürgerinnen und Bürger entgegenzutreten, als sie in der zeitlich knapp bemessenen Schlussrunde zum Votum des „Empfehlungsbeirats“ Stellung nehmen konnten. Fraglich ist aber, ob der Appell des Bürgermeistes an das „Wirgefühl“ der Isenburger und der Verweis auf die „Wohlstandssicherung“  die Begründungsmängel des „Empfehlungsbeirats“ auf Dauer zu überdecken vermag.

Es ist nämlich offen, ob der Entwurf der Speer&Partner GmbH, der so unverblümt fast 1:1 vom „Empfehlungsbeirat“ übernommen wurde, wirklich planerisch umgesetzt wird oder ob der nun mit Grünkeilzone durch das Planungsgebiet und öffentlichen Flächen auf dem Güterbahnhofsgelände präsentierte Entwurf nur einen Zwischenschritt zu einer brutalen, am maximalen Renditeziel der Investoren orientierten Bebauung darstellt.  Die „Eschbornisierung“ des Plangebietes ist jedenfalls noch nicht vom Tisch!

Als Bürgerinformation war diese Veranstaltung aber durchaus ertragreich. Inhaltlich soll im Rahmen dieser Wortmeldung zu den Entwürfen der Architekturbüros nicht weiter Stellung genommen werden. Sie haben alle den Blick für die Möglichkeiten der zu planenden Flächen erweitert, auch wenn der eine oder andere mehr oder weniger vorzugswürdig erscheint. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass ein Entwurf (Kahl/Ernst Consultants GmbH), der ambitioniert auch die Lösung städtischer Verkehrsprobleme bedachte, die Idee einer Verkehrsberuhigung an der IZ-Kreuzung und die barrierefreie Querung dieser Fläche durch Einrichtung einer Fußgängerzone vorschlug. Diese Idee hatte der VCD unlängst unter dem Stichwort „Marktplatz“ propagiert, was die CDU-Neu-Isenburg als vorgezogenen Aprilscherz bezeichnete. Wir stellen bei dieser Gelegenheit nicht nur scherzhaft fest, dass die begrenzte stadtplanerische Phantasie, welcher der hiesigen Mehrheitspartei eigen ist, nun anhand dieses Planungsvorschlags offen zutage getreten ist.

Fazit:

Es handelte sich um eine informative Veranstaltung. Die zugestandenen Beteiligungsformen waren symbolischer Natur. Die Bürgerinnen und Bürger hatten keine materiellen Rechte, die sie im Verfahren geltend machen konnten. Der Gemeinwille wurde nicht durch Organe repräsentiert.

Die Absicht dieser symbolischen Beteiligungsformen ist erkennbar nicht, Bürgerinnen und Bürgern mehr Entscheidungsbefugnisse einzuräumen, sondern sie symbolisch und ohne tatsächliche Einflussmöglichkeit zu binden. Vorausschauend soll damit der mögliche Protest kalkulierbar gemacht werden mit dem Argument: Sie waren doch beteiligt.

Die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung wurden ohne Bildung eines Gemeinwillens gefasst. Die Bürgerinnen und Bürger sind einflusslos. Sie werden in das Nichtverhandelbare eingebunden, um den Ort der kollektiven Auseinandersetzung dorthin zu verlagern, wo der Bürgerwille einflusslos ist.

Bei dieser Form der Bürgerbeteiligung handelt es sich um eine spiritualisierte Form der politischen Einbindung des Volkes. Heinrich Heine hat den emotionalen Mechanismus, mit dem hier gespielt wird, im „Wintermärchen“ wunderbar ausgedrückt:

                                     Ein kleines Harfenmädchen sang,

                                     sie sang mit wahrem Gefühle

                                     und falscher Stimme, doch ward ich sehr

                                     gerühret von ihrem Spiele.

 

                                     Sie sang das alte Entsagungslied,

                                     das Eiapopeia vom Himmel,

                                     womit man einlullt, wenn es greint,

                                     das Volk, den großen Lümmel.

 

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Montagsrunde Neu-Isenburg, 14.03.2013