Warum die neue Landebahn wirklich stillgelegt werden sollte

Was am Münchner Flughafen zu guter Letzt im klugen Einvernehmen der Mächtigen mit den Bürgern doch noch abgewendet wurde, erzeugt im Ballungsraum Rhein-Main Aufruhr ohne Ende. Weit über die Vorstellungen der Betroffenen hinaus hat sich nach Inbetriebnahme der neuen Frankfurter Landebahn der Lärm großflächig über der Region ausgebreitet. Wirbelschleppen der Tiefflieger decken inzwischen Dächer ab. Die verzweifelte Bevölkerung ringt um eine Begrenzung des allgegenwärtigen Flugbetriebs. Heiße Debatten drehen sich um Anflugrouten und -winkel, Rückenwindkomponenten, schlicht um die Umverteilung des Lärms. Besonders Mutige fordern ein Nachtflugverbot, das dem landläufigen Begriff der Nacht ein wenig näher kommt als die absurde, kaum sechs Stunden umfassende Regelung derzeit. Der gesellschaftliche Frieden ist massiv gestört.

 

Es geht um die Beeinträchtigung der Lebensqualität eines Ballungsraumes mit über fünf Millionen Menschen durch den Wildwuchs einer pseudomodernen Technologie, deren Entwicklungsstand ihren Emissionen an Lärm und Schadstoffen entspricht. Haben sich selbst die engagierten Bürgerinitiativen mit dem Ausbau als solchem schon abgefunden? Muss sich die Öffentlichkeit hinter einem dubiosen Planfeststellungsbeschluss verstecken? Leben wir nicht in einem Rechtsstaat? Kapitulieren wir vor einem geradezu kafkaesken richterlichen Beschluss, der auf „projektorientierten“ (Gefälligkeits-?) Gutachten beruht? Unterwerfen wir uns dieser Landesregierung, die nach dem Debakel der neuen Landebahn nun auch noch einen völlig überflüssigen Flughafen nahe Kassel durchgefochten hat, gleich einem Leviathan, dem wir uns hilflos ausgeliefert fühlen?

 

Wollen wir die unglaublichen Gutachten weiterhin akzeptieren, deren Inhalte über Bedarf, Wohlstand und Beschäftigung nicht nur elementaren wissenschaftlichen Erkenntnissen Hohn sprechen, sondern auch durch die Realität längst widerlegt sind? Deren habilitierte Autoren für das Entgelt eines Gefälligkeitsgutachtens den Stand und Ruf des weisen und rechtschaffenen Professors und Dozenten aufs Spiel gesetzt haben? Brauchte man die Unterschrift der Koryphäe Bert Rürup vor allem, um Zweifel an der gutachterlichen Seriosität auszuräumen? Brauchte es gar eines ganzen Instituts (das nachher offensichtlich still aufgelöst wurde), um die Prophezeiung „katalytischer“ Beschäftigungswunder wissenschaftlich zu adeln?

 

Seriöse Wissenschaftler diverser Disziplinen (u.a. Rhein-Main-Institut) haben mit zahlreichen Studien und Gutachten die fragwürdigen Planungsgrundlagen widerlegt und versuchen damit auch den ramponierten Ruf der Wissenschaft zu retten. Vier prominente Bürgermeister der Region fordern ein nationales Flughafenkonzept anstelle dominierender Marktstrategien zu Lasten anderer Flughäfen, wie sie der Flughafenbetreiber Fraport mit der Drehkreuzfunktion durchfechten will. Längst erreicht der Protest benachbarte Bundesländer, deren Bürger auch Geiseln hessischer Verkehrspolitik geworden sind. Der Ausbau scheint heute noch umstrittener als in der Planungsphase.

 

Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre die Stilllegung der neuen Landebahn geboten (aus juristischer Sicht nur dann, wenn sich Recht und Gemeinwohl decken würden). Denn all die verheißungsvollen Voraussetzungen, die zum Planfeststellungsbeschluss und damit zum Bau der neuen Landebahn führten, sind widerlegt, z.B.:

-          Die Zahl der Flugbewegungen und jetzt auch der Passagiere sinkt, die Bedarfsprognose war falsch.

-          Der Flughafen ist keine „Jobmaschine“. Es wurden nur bundesweit Arbeitsplätze dorthin verlagert. Zum Nachteil zahlloser Werktätiger, die nun täglich fernpendeln müssen.

-          Deutschland verfügt über das EU-weit dichteste Netz an Verkehrsflughäfen, ist an allen Ballungsräumen bestens für Interkontinentalflüge gerüstet. Der neue Berliner Flughafen macht ein Luftfahrtdrehkreuz in Frankfurt nun endgültig entbehrlich. Entgegen der Präferenz des Marktes für direkte umsteigefreie Fernflüge mit kleineren, leisen Maschinen bleibt die Drehkreuzfunktion nur noch das private Geschäftsmodell von Lufthansa und Fraport, dient also nicht der öffentlichen Daseinsvorsorge. Wie andere Flughäfen auch, sollte der hiesige dem Bedarf der Region dienen, mehr nicht.

-          Inzwischen sind die meisten Passagiere, auch Transitreisende, touristisch unterwegs, also auch nicht „im öffentlichen Interesse“.

-          Die Restriktionen der EU für einen Stadtflughafen, die für den Frankfurter Flughafen aufgrund seiner Lage zuträfen, werden durch das derzeitige Verkehrsaufkommen erheblich verletzt. Gerade die riesigen, extrem lauten Maschinen für die Drehkreuzfunktion (z.B. A380, B747-8) widersprechen der Regelung.

 

All dies wurde von Betroffenen bei der Erörterung des Planfeststellungsverfahrens formgerecht vorgetragen und eingereicht, aber von den Genehmigungsbehörden ignoriert. Tatsächlich haben sich die „projektorientierten“ Gutachten zum Planvorhaben nun als unzutreffend erwiesen. Die Stilllegung der Nordwestbahn wäre also wahrlich keine impulsive Forderung lärmgeschädigter Wutbürger, sondern logische Konsequenz aus einer nachweislich verfehlten Planung.

 

Aufgrund der faktischen Widerlegung der Planungsgrundlagen müsste also das Projekt rückabgewickelt, der Flugverkehr sogar noch weitergehend eingeschränkt werden. Illusorisch, meinen sogar die Grünen, die das Ausbauvorhaben stets abgelehnt hatten.

 

Warum eigentlich illusorisch? Protestieren wir nur noch für die Abmilderung eines Lärms, der gar nicht erst entstehen durfte? Knicken wir vor der Allmacht von Gutachtern, Landesfürsten, Richtern in Kassel und Leipzig ein, die offensichtlich in der Sache falsch entschieden haben?

 

Irren ist menschlich. Und Menschen, die sich geirrt haben, bemühen sich um Bereinigung ihres Irrtums, schon um ihr Gesicht zu wahren. Dagegen neigen eher psychopathisch veranlagte Machthabende dazu, ihr Gesicht zu wahren, indem sie an ihrem Fehlentscheid stur festhalten. Mangels Empathie und sozialer Intelligenz werden auch enorme Nachteile – z.B. Fluglärm – für die Allgemeinheit hingenommen. Wie beurteilen wir, wie sehen sich selbst amtierende und ehemalige hessische Ministerpräsidenten, Gerichtspräsidenten und Gutachter, die sich wohl allesamt geirrt haben? Akzeptiert die Gesellschaft, der Souverän, dass die Gesichtswahrung von Mächtigen mehr wiegt als das Gemeinwohl?

 

Die neue Landebahn sollte tatsächlich stillgelegt werden. Sicher wegen des Lärms, vor allem aber, um uns das Vertrauen in den Rechtsstaat, die Wissenschaft und in unsere Volksvertreter wieder zurückzugeben, zur Wiederherstellung des gesellschaftlichen Friedens.

 

Die Montagsrunde

5.5.2013

Tel. 06102 21336