



Montagsrunde Mai 2013
Überlegungen zum Verkehr in Neu-Isenburg
Warum fordern wir für den IZ-Kreisel einen Ausbaustopp und ein umfassendes Verkehrskonzept für Neu-Isenburg?
Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die gegenüber der früheren Verkehrsplanung aus dem Jahr 2000 maßgeblich veränderte Entwicklungsperspektive Neu-Isenburgs.
In unmittelbarer Nähe zur IZ-Kreuzung wird in wenigen Jahren ein Wohn- und Gewerbeviertel entstehen, in dem etwa 2000 zusätzliche Bewohner leben werden. Weitere knapp 1000 Bewohner werden in absehbarer Zeit den Osten der Stadt im „Birkengewann“ bevölkern. Außerdem entstehen viele neue Arbeitsplätze im Gewerbegebiet Süd und auf dem Gehespitzgelände im Westen der Stadt.
Mit erhöhtem Mobilitätsbedarf ist also zu rechnen!
Dabei ist die Verkehrsbelastung schon jetzt sehr hoch. Von den rund 35.000 Einwohnern pendeln ca. 9.000 täglich in andere Kommunen, vor allem nach Frankfurt und zum Flughafen. Im Gegenzug zieht es ca. 17.000 Einpendler nach Neu-Isenburg – in beiden Richtungen überwiegend mit dem eigenen PKW.
Wie kaum eine andere Stadt wird Neu-Isenburg immer noch vom Autoverkehr dominiert. Von zukunftsorientierter Verkehrswende keine Spur. Das längst überholte Konzept der „autogerechten Stadt“ gilt bei uns weiterhin. Mit der vom ruhenden und zähfließenden Autoverkehr verstopften Schlagader Frankfurter Straße und einem Einkaufszentrum als City-Ersatz entspricht Isenburg immer noch dem 50 Jahre alten Alptraum Alexander Mitscherlichs von „der Unwirtlichkeit unserer Städte“. Ein Straßenkreuz vierteilt unsere Stadt, gewährt aus allen Himmelsrichtungen Durchgangs-, Quell- und Zielverkehr und Pendlern freie Fahrt quer durchs Zentrum.
Wohin mit dem Verkehr?
Seit Mitscherlich hat sich vielerorts das typische Stadtbild gewandelt. Die „Hauptstraße“ ist Flaniermeile, mündet in den „Neuen Markt“, umrahmt von ansprechender Architektur. Fußgänger, Radler, Tram und allenfalls wenige Autos teilen sich den öffentlichen, verkehrsberuhigten Raum. Motorisierter Durchgangsverkehr wird über Ringstraßen geleitet, auch Quell- und Zielverkehr kann die Mitte nicht passieren. Die Grundlast des Verkehrs übernehmen Bahn, Bus und Fahrrad.
Wenn man nur wollte, wäre auch bei uns vieles davon umsetzbar: Die Tramlinie 17 vom Frankfurter Hauptbahnhof nach Dreieich kreuzt am „IZ“ die Regiotram „Westtangente“, die vom Flughafen über die Friedhofstraße das Gewerbegebiet Ost erreicht. So haben die meisten Bürger kurze Wege zur nächsten Haltestelle. Auch die Mehrzahl der Ein- und Auspendler könnte ihr Auto daheim lassen. Für den verbleibenden Autoverkehr bieten umgebende Autobahnen und die neue Südumfahrung Zugang zu allen Stadtteilen, ohne den derzeitigen Knoten am IZ passieren zu müssen. Mit dem reduzierten Autoverkehr gewinnt auch das Radeln ohne große Investitionen an Attraktivität.
Deshalb ist die Gestaltung der heutigen „IZ-Kreuzung“ ausschlaggebend für die Zukunft der Stadt. Spätestens mit der Realisierung des Südquartiers drängt sich die Etablierung eines Stadtkerns auf. Die Funktion eines zentralen Marktplatzes ist Voraussetzung für die Entwicklungsfähigkeit nicht nur neuer Quartiere, sondern der ganzen Stadt. Erst wenn man - ohne die Vorfahrt von Autos beachten zu müssen – vom alten Ort über die „Frankfurter“ bis ins Südquartier bummeln kann, stimmt die städtische Qualität.
Altes Denken – Neues Denken
Allzu lange war das Recht auf Nutzung des eigenen Automobils der Inbegriff von Freiheit und Lebensqualität. Politik und Autoindustrie unterstützten diese Sichtweise nach Kräften. Klima- und Umweltschutz, Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit sind Kriterien, die in der „Blüte“ des Autozeitalters keine Rolle spielten. In Zeiten von permanenten Autostaus, quälender Verlärmung der Wohngebiete, gesundheitsgefährdender Luftverschmutzung, klimaschädlicher CO2-Belastung der Atmosphäre ist es inzwischen von existenzieller Bedeutung hier umzusteuern.
Aber ob sich in einer Stadt neue Mobilitätskonzepte realisieren lassen, hängt auch und vor allem ab vom Willen ihrer Bürgerinnen und Bürger und von ihrer Bereitschaft sich von eingefleischten Lebensgewohnheiten zu verabschieden. Man hat den Eindruck, dass sich in Neu-Isenburg die Bürgerinnen und Bürger damit besonders schwer tun.
Warum wertschätzen die Bürger von Ettlingen ihre autofreie Kleinstadtidylle im Straßencafé, wo Isenburger ihren „SUV“ in zweiter Reihe vor dem Ein-Euro-Shop-Ambiente der Frankfurter Straße parken? Warum sind Isenburger Wohnquartiere Blechwüsten, während in Freiburg die Car-Sharing-Autos im Solarparkhaus versteckt sind? Warum flüchten verängstigte Isenburger Radler aufs Trottoir, derweil in Münster einsame Autofahrer zwischen robusten Radlermassen eingekeilt sind? Warum bleibt es in Neu-Isenburg ohne Konsequenzen, wenn Fußgängerwege gnadenlos zugeparkt werden?
Offensichtlich gibt es in Neu-Isenburg in Sachen Wertewandel noch einigen Nachholbedarf. Die Stadtverordneten sollten sich einer großen Verantwortung bewusst sein. Sie können jetzt die Weichen stellen für eine zukunftsfeste Entwicklung der Stadt. Aber da es, wie gesagt, vom Willen und der Veränderungsbereitschaft jedes Einzelnen abhängt, ist Bürgerbeteiligung bei der verkehrspolitischen Umgestaltung von Anfang an unverzichtbar. Der Planungsprozess muss transparent sein und die Bürger „mitnehmen“.
---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Was also wäre konkret anzugehen?
Der ÖPNV darf in Neu-Isenburg nicht länger nur als Restangebot für Verkehrsbedürfnisse betrachtet werden, die nicht durch den motorisierten Individualverkehr (MIV) befriedigt werden können. Vielmehr muss sein Potential als moderne Alternative zum MIV voll ausgeschöpft werden.
Primäres Ziel ist die Verlängerung der Straßenbahn durch die Frankfurter Straße zum IZ. Von
dort könnte die Tram entlang der Carl-Ulrich-Straße auf der geplanten Westtangente“-Trasse bis zum S-Bahnhof weiterfahren. Damit stände auf den derzeit verkehrsreichsten Achsen (Nord-Süd: Frankfurter Str., Ost-West: Carl-Ulrich-Str.) eine leistungsfähige Alternative zum Auto zur Verfügung. Aktuelle Technologie erlaubt sehr dünne Oberleitungsdrähte, die das Stadtbild nicht stören. Provisorisch wäre sogar der Einsatz von Hybridtrams bis zur vollständigen Elektrifizierung vorstellbar
einzelne Tramzüge könnten bis zum Flughafen über die vorhandenen Gleise geführt werden.
Langfristig sollte die Straßenbahn, wie in der regionalen Verkehrsplanung seit Jahrzehnten vorgesehen, bis nach Dreieich verlängert werden.
Mit Verlegung der Tramgleise sollte die Frankfurter Straße fortschreitend verkehrsberuhigt ausgestaltet werden, mündend im neuen „Marktplatz“ auf der bisherigen IZ-Kreuzung. Die Betreiber von Einkaufszentren, auch „ECE“ für das Isenburg-Zentrum, haben vor den meisten Stadtplanern begriffen, dass nur in einer autofreien Umgebung die fürs „Shoppen“ erforderliche urbane Wohlfühlatmosphäre entsteht.
Die aktuelle Renaissance der Tram bewahrt nicht nur viele französische Städte, auch kleinere süddeutschen Kommunen vor dem Verkehrsinfarkt, sondern erzeugt innerstädtische Lebensqualität. Denn in den geräumigen Zügen reisen all jene, die zuvor mit ihren Autos den öffentlichen Raum verstopft haben, der eben eine Stadt ausmacht. Da, wo die Tram rollt, findet städtisches Leben statt.
Das Verkehrspotential verspricht kostendeckende Erlöse, sofern die nicht marktkonforme Tarifgrenze zu Frankfurt fällt und die Tram durch bevorzugte Verkehrsführung (Vorrangschaltung, Verkehrsberuhigung der parallelen Autotrassen) höhere Qualität bietet als der Individualverkehr. Die Investitionskosten könnten aus der Aufgabe von Straßenverkehrsprojekten, die dank der Tram obsolet wären, finanziert werden. Auch das Land und benachbarte Kommunen, die vom Isenburger Pendlerverkehr entlastet würden, sollten sich beteiligen.
Nur mit der Ausdehnung des Frankfurter Tarifgebietes auf die verkehrsintensiven Nachbarkommunen wie Offenbach und Isenburg kann die Verkehrswende gelingen. Dies ist zugleich Voraussetzung für die Akzeptanz neuer Mobilitätsgewohnheiten bisheriger Autopendler.
Radverkehr
Zwei befestigte Expressradwege nach Frankfurt: westliche Route über vorhandene Waldwegtrassen nach Frankfurt-Louisa; östliche Route parallel zur Darmstädter Landstraße nach Frankfurt-Sachsenhausen.
Servicestationen (gesicherte Unterbringung, Reparatur, Kiosk, Fahrkartenverkauf, Car Sharing, analog „Mobile“ BaWü, „Radstation“ NRW) an S-Bahn und künftiger Tramhaltestelle am „IZ“.
Aufgabe der nur abschnittsweise vorhandenen und zu schmalen Radwege, da bei flächendeckenden 30-Zonen, freizügiger Befahrung von Einbahnstraßen, Verkehrsberuhigung der bisherigen Ost-West- und Nord-Süd-Achsen und dem durch die Tramlinien reduzierten Autoverkehr ein ungehinderter Radverkehr auf allen Verkehrsflächen gewährleistet ist.
Siedlungsstruktur
Insbesondere das vom Fluglärm verschonte künftige Quartier Süd bietet die Möglichkeit einer urbanen Wohnbebauung insbesondere für die zahlreichen Einpendler, die im angrenzenden Gewerbegebiet arbeiten. Mit Beteiligung der von niedrigen Gewerbesteuersätzen begünstigten Wirtschaft – sie könnte auch als Investor agieren – sollte den Pendlern Wohnraum angeboten werden, der unter Berücksichtigung entfallener Fahrtkosten vorteilhafter als am alten Wohnort ist. Profitieren würden die Werktätigen durch mehr Lebensqualität aufgrund geringerer Zeitkosten für den Weg zur Arbeit; das Gewerbe, weil Arbeitszeiten nicht mehr den Unwägbarkeiten des Autoverkehrs unterliegen; Klima und Umwelt gewinnen sowieso. Ungeachtet dessen sollte in der Region eine Harmonisierung der Gewerbesteuer vereinbart werden, damit Städte wie Neu-Isenburg nicht weiter zu Lasten anderer Kommunen Betriebe vereinnahmen und damit immer mehr Autopendlerströme verursachen. Wohnen und Arbeiten am selben Ort muss Richtschnur für die Siedlungsstruktur der Region sein.