Notstand am Standort

 

Rewe nach Neu-Isenburg, Allianz nach Eschborn. Und ganz viele zum Frankfurter Flughafen. Alle erfolgreichen, sprich profitablen Unternehmen zieht es an den optimalen „Standort“. Wenn jetzt das IW-Institut den Standort Deutschland lobt, dann meint es eben nicht ganz Deutschland und schon gar nicht den Wohlstand der Bevölkerung. Ostdeutschland, Ruhrgebiet, Friesland sind keine „Standorte“. Und selbst in der Boom-Region Rhein-Main gibt’s eine Menge Verlierer: Offenbach, Dietzenbach, Dreieich... Das enorme soziale Gefälle unserer Gesellschaft wird wesentlich verursacht vom Gefälle zwischen Regionen und innerhalb der Regionen.

 

Zu Zeiten der Schwerindustrie war die Konzentration der Wirtschaft auf Standorte noch nachvollziehbar. Arbeit und Wohnen folgten den Bodenschätzen als der wichtigsten Ressource. Heute machen Internet und ein unübertroffenes Netz an Autobahnen und Flughäfen theoretisch jeden Ort zum Standort. Die Wirtschaft könnte der nun wichtigsten Ressource, der Arbeitskraft Mensch, an deren Standort folgen. Tut sie aber nicht. Denn Standort ist Synonym für Prestige und Steuervorteile, die sich nicht am Wohn- und Lebensumfeld orientieren. Schöne Gründerzeithäuser, wie sie in Duisburg gleich stadtteilweise abgebrochen werden, erzielen nebenan in Düsseldorf und erst recht in Frankfurt Höchstmieten. Wer die Höchstmieten nicht zahlen kann, muss pendeln. Wer sie dennoch zahlt, ist trotz höherem Gehalt so arm wie die Daheimgebliebenen im Odenwald oder der Wetterau, die dort – noch - einen Job haben. Die Werktätigen sind allemal die Verlierer beim Gefecht um den Standort.

 

Ausgerechnet die örtlichen Volksvertreter heizen mit Dumping-Hebesätzen für die Gewerbesteuer den gnadenlosen Wettbewerb um den Standort noch an. Aus solcher „Wirtschaftsförderung“ resultiert eine völlig ineffiziente Struktur, die jede Erkenntnis sinnvoller Planung – vor allem Arbeiten und Wohnen am selben Ort - verhöhnt. Man rühmt den Flughafen als „größte Arbeitsstätte Deutschlands“. Wer mag in solcher Lärmhölle wohnen? Also müssen noch mehr Leute noch weiter pendeln. Als „Luftfahrtdrehkreuz“ ist der Flughafen Sargnagel für andere Airports in Mitteleuropa. Und mit der Konzentration von Büroarbeitsplätzen und Shopping Center ist er jetzt auch Sargnagel für die umliegenden Kommunen. Akustisch wie volkswirtschaftlich wäre es günstiger, die „Arbeitsstätte“ Flughafen würde sich auf den Lufttransportbedarf der Region beschränken.

 

Ähnlich bereichern sich auch Eschborn und Neu-Isenburg. Mit gut gefülltem Stadtsäckel ergattern diese Kommunen dazu noch reichlich Landesfördermittel, die einen Eigenanteil bedingen. Arme Nachbarkommunen haben diesen Eigenanteil nicht, müssen also auf notwendige Infrastruktur verzichten. So liegen kommunale Verschwendung und Absturz dicht beieinander, verschärfen sich immer mehr. Land und Landräte versagen als ausgleichende Instanzen. Der zuständige Landrat verweist auf den Segen von immerhin vier Kunstrasenplätzen im reichen Neu-Isenburg. Was haben die Isenburger davon? Vor allem: was haben die armen Dreieicher, Dietzenbacher vom Isenburger Kunstrasenglück? Dass Isenburg seinen Bürgern trotz guter Finanzlage immer noch keine Innenstadt bietet, findet den tröstenden Hinweis des Landrats, dass die anderen Kreiskommunen ja auch keine City haben. Toll!

 

Ein Silberstreif über der Region könnte eine grüne Renaissance regionalen Gemeinsinns sein. Immerhin werden schon manche Rathäuser grün regiert, und mit Vize-Chefin Birgit Simon zieht auch grünes Verantwortungsbewusstsein in den Regionalverband. Wenngleich man über einige Positionen streiten mag, muss man den grünen Akteuren zugute halten, dass sie ihren Verantwortungsbereich nicht zu Lasten anderer Kommunen und Regionen begünstigen. Bislang ist ihnen Volkswirtschaftsförderung wichtiger als „Wirtschaftsförderung“. Möge das so bleiben.

 

Die Montagsrunde

29.10.2012