Öffentlicher Nahverkehr, Februar 2009

Umfassendes Plädoyer für eine Straßenbahn in Neu-Isenburg!

Freibgtram

 

Eine Straßenbahn durch Neu-Isenburg ?   Durch die Frankfurter Straße ? Ist diese Idee nicht ein Ladenhüter, Mitte der 90er im Gespräch und längst überholt ? 

Ja, weil die Stadt durch den Ausbau der „automobilen Versorgungsachsen“ Frankfurter Straße, Schleussnerstraße und Carl-Ulrich-Straße, Kreiselausbau am IsenburgZentrum und den Verkehrsknoten Frankfurter Straße/Rathenaustraße die Verkehrsräume schrankenlos den Autos widmet und dabei den öffentlichen Nahverkehr an den Rand drängt. In diesem Konzept hat die Straßenbahn keinen Raum. 

Und doch wieder nein ! Die sachlichen und vernunftgeleiteten Gründe für eine Straßenbahn drängen sich immer mehr auf. Trotzdem müssen wir einräumen, dass die Chance für eine Straßenbahn angesichts der auf das Auto fixierten Politik kein Nahziel mehr ist. Deshalb fordern wir: 

Die in der Umsetzung befindlichen Ausbaupläne der Frankfurter Straße müssen gestoppt werden. Der Straßenraum darf nur soweit verändert werden, wie er mit dem Ausbau einer Straßenbahn vereinbar ist. Der Verkehrsknoten Frankfurter Straße/Rathenaustraße muss die Option einer Weiterführung der Straßenbahn nach Dreieich offen halten.

In Neu-Isenburg ist der Öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) das fünfte Rad am Wagen des Motorisierten Individualverkehrs (MIV).  

Der erste Grund liegt in der Siedlungsstruktur der Stadt. Aus historischen Gründen liegen die überörtlichen Anschlussstellen, welche die Kernstadt mit dem Umland verbinden, im äußersten Westen und Norden der Kernstadt, nämlich die S-Bahn und die Straßenbahn nach Frankfurt. Die Siedlungsstruktur der politischen Gemeinde muss zudem die Orte Gravenbruch und Zeppelinheim mit Angeboten des ÖPNV versorgen. Das stellt eine zusätzliche Herausforderung dar. Derzeit stützt sich der städtische ÖPNV  auf Buslinien, welche innerörtliche Verbindungen schaffen und die Zubringerfahrten zu den überörtlichen Verkehrsanschlüssen besorgen. Es gibt nur wenige Buslinien, die Isenburg durchqueren und ein Angebot für das weitere Umland bereitstellen.  

Der zweite Grund ist politischer Natur. Es gibt keine politische Strömung in der Stadt, welche ernsthaft und zielstrebig für einen leistungsfähigen, an den Bedürfnissen der Bürger und Bürgerinnen orientierten ÖPNV eintritt. Das bürgerlich-konservative Lager ist ablehnend,  das oppositionelle Lager mobilisiert nicht genug politische Power, beziehungsweise verliert  sich in kleinräumigen Lösungen. Das Ziel, einen ÖPNV zu schaffen, der Neu-Isenburg in die Verkehrssystem des Umlandes auf soziale, ökologische und wirtschaftliche Weise integriert, wird von der politischen Klasse in Neu-Isenburg nicht verfolgt.  

Dieser Beitrag führt die wesentlichen Gründe an, die für eine Straßenbahn in Neu-Isenburg sprechen. Tatsächlich stellen aber die Ausbaupläne des Magistrats in der Frankfurter Straße und am neuen Verkehrsknoten Frankfurter Straße/Rathenaustraße ein schwerwiegendes Hindernis für eine Straßenbahn dar. Politische Absicht ist die Verhinderung einer Straßenbahn. Dieser Ablehnung liegen offenbar tiefe, dem vernünftigen Argument nicht mehr zugängliche Ressentiments zugrunde. Dieser Beitrag entsteht zu einem Zeitpunkt, in dem einerseits die schon sehr lange Zeit geführte Debatte über eine Straßenbahn in der Stadt offensichtlich wegen des Straßenausbaus nur noch geringe Realisierungschancen zu haben scheint, andererseits die Gründe, die für eine Straßenbahn sprechen, immer überzeugender werden. Zwar schafft der Magistrat Fakten, jedoch dürften diese in den nächsten Jahren aus Gründen notwendiger neuer Orientierungen einer Revision unterliegen.    

Neu-Isenburg ist nicht nur eine Schlafstadt im Speckgürtel von Frankfurt. Der Umlandverband Frankfurt am Main hat 43 Gemeinden. Frankfurt und Offenbach weisen als Oberzentren zwei Drittel der rund 800 Tausend sozialversichungspflichtig Beschäftigten auf. Im Ranking folgen als relative Schwergewichte dann aber schon Eschborn (25 Tausend), Neu-Isenburg (20 Tausend) und Dreieich (16 Tausend). 

Das Potential an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Neu-Isenburg und Dreieich beträgt 36 Tausend Personen. Zählt man hierzu noch die weiteren Berufstätigen, die nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen, kommt man nahe an die 40 Tausend. Diese Zahlen spielen bei Planungen für den ÖPNV eine gewichtige Rolle, weil sie sich leicht statistisch erfassen lassen und bei dieser Personengruppe ein hohes Mobilitätsbedürfnis vermutet wird. Tatsächlich dürfte aber die Nachfrage größer sein, man denke nur an Schüler. 

Neu-Isenburg ist eine Einpendler- und Auspendlerstadt bezogen auf die Berufstätigkeit. 

Bezogen auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung pendeln rund 15 Tausend Beschäftigte werktäglich in die Stadt ein, rund 9 Tausend aus. Der Saldo an Einpendlern beträgt fast 6 Tausend. Der größere Teil der Einpendler kommt aus dem Süden und dem Osten des Umlandes. Die Auspendler haben zum großen Teil ihre Arbeitsstätten am Flughafen oder in Frankfurt am Main. Für diese Personengruppen stehen nur die jeweils in Stadtrandlage gelegene S-Bahn und die Straßenbahn, ansonsten die wenigen überörtlichen Busse zur Verfügung. Dies ist nicht ausreichend und auch nicht attraktiv. Die meisten Einpendler und viele Auspendler entscheiden sich daher für den automobilen Verkehr.  

Der Anschluss an den überörtlichen ÖPNV ist ökologisch und sozial geboten. Nur ein bedürfnisgerecht ausgebauter ÖPNV vermag zumindest teilweise den automobilen Verkehr zu ersetzen und aufgrund der Nachfrage preislich attraktiv zu sein. Er wird in Zeiten steigender Mobilitätskosten auch ein Standortfaktor für die Wirtschaft. 

Der Hauptanteil des automobilen Verkehrs in Neu-Isenburg sind Ziel- und Quellverkehre. Darunter sind überörtliche Fahrten mit Ziel in Neu-Isenburg oder außerhalb Neu-Isenburgs zu verstehen. Auf den von überörtlichem Verkehr geprägten Straßen machen sie bis zu zwei Drittel aus. Der Durchgangsverkehr bleibt durchweg unter 20 %. Der innerörtliche Verkehr ist als Menge dagegen vernachlässigbar. Auf den Hauptverkehrsrouten Frankfurter Straße (Nord/Süd) und Friedhofstraße/Carl-Ulrich Straße (Ost/West) verkehren rund 20 Tausend Autos. Dieses System wird komplettiert durch „Umgehungsstraßen“ wie die Offenbacher Straße und die Karlstraße, durch die sich berufsbezogener automobiler Verkehr zu den Stosszeiten quält. Autofahrer sind wie alle Menschen erfahrungsgeleitet. Sie wissen aus täglicher Übung recht genau, wann sie mit welchem Zeitaufwand in möglichst kurzer Zeit zum Ziel kommen. Auf diesen „Umgehungsstraßen“ wird dieser Verkehr durch die Anwohner – auch wegen der Enge der Straßen – als besonders störend empfunden. Die Verfechter kleinräumiger Lösungen fordern hier Geschwindigkeitsbeschränkungen, Pförtnerampeln, Zebrastreifen, Absicherung des Fahrradverkehrs etc. Dies ist verdienstvoll, geht aber nicht an die Wurzel des Problems. 

Nach einer Studie der IHK Offenbach sind Wirtschaftsstandorte im Landkreis Offenbach  für internationale Unternehmen am attraktivsten, die eine große Nähe zum Flughafen aufweisen und gute Verkehrsanschlüsse haben. Diese beiden Bedingungen erfüllt Neu-Isenburg in hohem Maße. An dritter Stelle wird zudem ein guter ÖPNV-Anschluss genannt (FR, 16.12.2008). Die Unternehmen wissen, dass die Mobilitätskosten gestiegen sind (z.B. Kraftstoff) und Parkraum teuer ist. Zur Gütererzeugung benötigen sie aber Fachkräfte, die sie aber nicht immer vor Ort finden und für die ein angemessenes Beförderungssystem zur Verfügung gestellt werden muss. 

Der Umlandverband hat den vielfältigen Verkehrsbedürfnissen im gesamten Raum durch ein differenziertes Verkehrskonzept bereits im Jahr 2000 Rechnung getragen. 

Dies bedeutet für Neu-Isenburg: Nach Prüfung der Verkehrsströme wurde der Regionaltangente West (RTW) hohe Priorität zugedacht. Eine Verlängerung der Straßenbahn von der Endhaltestelle „Waldbahnhof“ nach Dreieich wurde günstig beurteilt. Die Regionaltangente Ost (RTO) wurde wegen mangelnder Auslastung zurückgestellt.

Die RTW ist ein radiales Bahnsystem zur Westumfahrung Frankfurts auf den Stationen Neu-Isenburg Zentrum – N.-I-Bahnhof – Bhf. Sportfeld - Flughafen – Höchst – Sossenheim – Eschborn –Oberursel – Bad Homburg. Zusätzlich wird im Norden noch ein Abzweig Eschborn – Nordwestzentrum und im Süden Neu-Isenburg Bahnhof – Dreieich-Buchschlag – Rödermark – Dieburg einbezogen. Ihre Länge ohne Berücksichtigung der Abzweige beträgt rund 36 Kilometer, die Investitionskosten zu Preisen im Jahr 2000 geschätzte 253 Mio DM. 

Die Planreife ist im Abstimmungsprozess; noch 2009 soll das Panfeststellungsverfahren eröffnet werden.

Die RTO ist ein radiales Bahnsystem zur Ostumfahrung Frankfurts mit Start Neu-Isenburg-Zentrum – Offenbach – Bad-Vilbel. Ihr Bau ist in weite Ferne gerückt. Dies liegt auch daran, dass ein leistungsfähiges ÖPNV-System mit dem Unterzentrum in Neu-Isenburg nicht existiert und bis auf weiteres nicht die Verknüpfungsmultiplikatoren schafft. Mit anderen Worten: Ohne Westtangente und ohne Straßenbahn keine Osttangente. Es könnte aber noch schlimmer kommen: Der südliche Abzweig Bhf Neu-Isenburg – Dieburg anstelle der Endhaltestelle Neu-Isenburg Zentrum kommt immer mehr ins Gespräch, denn er bringt tatsächlich mehr Fahrgäste (max. 12.100) als die Route Bhf Neu-Isenburg – Neu-Isenburg Zentrum (max 2.400). Diese Route kann aber nicht mehr bringen, weil ihr die überörtliche Anbindung fehlt. Welcher der beiden Äste oder ob beide Äste gleichzeitig zum Zuge kommen, erscheint im Augenblick offen zu sein. Das könnte auch heißen: Ohne Straßenbahn keine Westtangente mit Haltepunkt Neu-Isenburg-Zentrum und keine Ausbauoption für die Osttangente.  

Frankfurt macht es vor ! Der Ausbau der Straßenbahnlinie 14 zwischen Mörfelder Landstraße und Gartenstraße schafft die unmittelbare Verbindung zwischen Neu-Isenburg und dem Hauptbahnhof, Fahrtzeit etwa 15 Minuten. Ein Ausbau der Straßenbahn durch die Frankfurter Straße nach Dreieich drängt sich geradezu auf. 

Der Durchstich der Straßenbahn zwischen der Mörfelder Landstraße und der Gartenstraße ist nach dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Frankfurt am Main vom 29.05.2008 in die Phase der Planfeststellung überführt worden. Die Realisierung soll Mitte des Jahres 2010 abgeschlossen sein. 

Die Straßenbahnverlängerung von insgesamt 1100 Metern ist mit rund 10 Mio Euro kalkuliert. Die Kosten werden nach Aufwand zwischen der Stadt und der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) aufgeteilt. Zuschüsse beim Haltestellenbau aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz sind zu erwarten.

Weshalb eine Straßenbahn ? 

Frankfurt plant diese Verlängerung weitsichtig als Teil einer Ringlinie, die auf bereits vorhandenen Trassen und ergänzt durch Neubaustrecken eine durchgehende Linie über Bockenheim, Ginnheim, Eckenheim, Friedberger Warte nach Preungesheim bilden soll.

Parteiübergreifend folgt man in Frankfurt der Einsicht, dass der Ausbau der Straßenbahn im Vergleich zu unterirdischen U-Bahnstrecken preisgünstig ist. Durch ihr dichtes Haltestellennetz und die direkte Erreichbarkeit der Haltestellen hat die Straßenbahn eine gute Erschließungswirkung und ist auch für mobilitätsbehinderte Menschen gut nutzbar. Durch die Möglichkeit Züge in Doppeltraktion zu fahren, ist die Straßenbahn auch bezüglich der Kapazität flexibel und leistungsfähig.

Was sagt der Umlandverband zur Straßenbahnführung durch die Frankfurter Straße in Neu-Isenburg ? 

Eine Straßenbahn durch Neu-Isenburg habe folgende Vorzüge: 

  • - gute Erschließung der zentralen Bereiche in Neu-Isenburg und Sprendlingen im Zuge der ehemaligen B 3.
  • - attraktive Zwischenortsverbindung Sprendlingen – Neu-Isenburg.
  • - Städtebauliche Aufwertung insbesondere der Frankfurter Straße in Neu-Isenburg.
  • - Zubringer zur RTW und S-Bahn.
  • - direkte Schienennetzverbindung von Sprendlingen und Neu-Isenburg über Sachsenhausen zum Hauptbahnhof und weiter zur Messe.

„Nach den Modellrechnungen liegen die zu erwartenden Querschnittsbelastungen für eine im 10-Minuten-Takt verkehrende Straßenbahn innerhalb von Neu-Isenburg bei etwa 8.900 bis 9.500, nördlich der Stadtgrenze bei rund 14.500 und südlich der S-Bahn-Station Stresemannallee bei rund 18.700 Personenfahrten/24 h. Infolge der Qualitätsverbesserung des ÖV-Netzes insgesamt kann am Querschnitt nördlich von Neu-Isenburg mit rund 5.500 vom MIV auf die Straßenbahn verlagerten Personenfahrten pro Tag gerechnet werden. Damit würde diese neue Straßenbahnverbindung zu den am stärksten nachgefragten Straßenbahnlinien im Stadtgebiet gehören. Sie wäre voraussichtlich so gut angenommen, dass eine Bedienung der Strecke mit dem Frankfurter R-Wagen (Niederflur-Einzelwagen) im 10-Minuten-Takt nicht mehr ausreichend wäre, so dass entweder ab der Stadtgrenze in der Hauptverkehrszeit auf einen 5-Minuten-Takt verdichtet werden oder zwei gekuppelte Fahrzeuge angeboten werden müssten (Generalverkehrsplan 2000 des UVF, S.248)“

 Regiotram

Ist denn eine Straßenbahnführung über die Frankfurter Straße überhaupt möglich ? 

Die baulichen Möglichkeiten zur Verlängerung einer Straßenbahn/Stadtbahn in Neu-Isenburg und in Dreieich-Sprendlingen sowie zur Gestaltung des Straßenraums wurden bereits in drei Studien (Gehrmann Verkehrsplanung 1990, 1994, 1996) untersucht. Während im südlichen Streckenbereich von der Ulmenstraße in Sprendlingen bis zur Neuhöfer Straße ausreichend Platz für die Anlage eines zweigleisigen besonderen Bahnkörpers neben der Straße vorhanden ist, gestaltet sich die Realisierung insbesondere zwischen der Carl-Ulrich-Straße und der Neu-Isenburger Stadtgrenze im Norden schwieriger. In einer Studie von 1996 im Auftrag der Kreisverkehrsgesellschaft und des UVF wurden deshalb auch eingleisige Straßenbahnlösungen auf besonderem Bahnkörper auf der Westseite und in der Mitte der Frankfurter Straße sowie eine zweigleisige Straßenbahn im Straßenraum ohne besonderen Bahnkörper untersucht und als realisierbar eingeschätzt.  

In Anbetracht des beengten Straßenraumes und unter Berücksichtigung der Zielvorstellungen der Stadt Neu-Isenburg zur Umgestaltung und städtebaulichen Aufwertung der Frankfurter Straße wird seitens des UVF vorgeschlagen, die Straßenbahnverlängerung in Mittellage ohne besonderen Gleiskörper vorzusehen. Dies hätten den Vorteil eines geringen separaten Flächenbedarfs und böte den notwendigen Spielraum für die von der Stadt Neu-Isenburg beabsichtigte Straßenraumumgestaltung, ohne den Individualverkehr besonders einzuschränken. Der zweigleisige Ausbau ermöglicht darüberhinaus Flexibilität bei der Gestaltung des betrieblichen Angebots und vermeidet betriebliche Störungen bei Verspätungen, die bei einer eingleisigen Strecke nicht auszuschließen wären. 

Die Investitionskosten für die Verlängerung der Straßenbahn im gesamten Bereich der Stadt Neu-Isenburg wurden für die beschriebene zweigleisige Variante ohne besonderen Bahnkörper auf 26,5 Mio DM geschätzt – die Varianten mit zum Teil eingleisigen Abschnitten mit besonderem Bahnkörper würden etwa 19,7 bis 21,4 Mio DM kosten. (..)Die Kosten für den Streckenneubau auf Dreieicher Gemarkung bis zur Ulmenstraße würden etwa 11 Mio DM betragen (ebd., S. 249). Unter Berücksichtigung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) wurde damals die Aufteilung auf das Land = 12 Mio DM und Stadt/Kreis 9,4 Mio DM als realistisch eingeschätzt. 

 Zwischenzeitlich ist die Typenvielfalt von Straßenbahnen technisch erweitert worden. Auf der RTW wird künftig eine RegioTram verkehren, welche die Vorzüge der Schnelligkeit einer S-Bahn und der Wendigkeit der hergebrachten Straßenbahnen verbindet. Die RegioTram kann sowohl auf dem Straßenbahnnetz als auch auf dem S-Bahnnetz verkehren. Westtangente und Straßenbahn könnten deshalb an der Kreuzung Frankfurter Straße und Friedhofstraße miteinander verknüpft werden.

Der Magistrat der Stadt Neu-Isenburg lehnt eine Straßenbahn durch Neu-Isenburg kategorisch ab. Er bevorzugt den Ausbau mehrspuriger Straßen (Carl-Ulrich-Straße/Schleußnerstraße), von Großkreuzungen für den MIV (Frankfurter Straße/Friedhofstraße) und Verkehrsknoten (Frankfurter Straße/Rathenaustraße). 

Der Planungsverband Ballungsraum hat sich im Rahmen der Anhörung zu dem Bebauungsplan Nr. 101 „Knotenpunkt Rathenaustraße“ an den Magistrat gewandt und darauf hingewiesen, dass im Vorentwurf des Regionalen Flächennutzungsplans 2007 die Verlängerung der Straßenbahn durch Neu-Isenburg bis Dreieich-Sprendlingen enthalten sei. Er bat bei der Aufstellung des Bebauungsplans um Beachtung, dass die Straßenbahnverlängerung durch den Umbau des Kotenpunktes nicht unmöglich gemacht oder unverhältnismäßig erschwert wird. 

 

Der Magistrat hat wie folgt geantwortet: 

Die Stadt hat in ihrer Stellungnahme zum Vorentwurf des Regionalen Flächennutzungsplanes gefordert, die Verlängerung der Straßenbahn über die Frankfurter Straße nach Dreieich aus den Darstellungen im Plan und der Begründung (..) herauszunehmen. Begründet wurde dies wie folgt:

„Die Stadt Neu-Isenburg lehnt eine Verlängerung der Straßenbahn bis nach Sprendlingen grundsätzlich ab. Eine Erweiterung der Straßenbahn auf besonderem Gleiskörper würde die Funktion der Frankfurter Straße als wichtige Straße des Vorrangnetzes und Haupteinkaufstraße der Stadt erheblich beeinträchtigen, da der Straßenraum zu eng ist. Eine Führung auf straßenbündigem Gleiskörper verringert den Verkehrswert der Straßenbahn aufgrund der Verkehrsbelastung der Straße erheblich und schließt die stadtgestalterisch erforderliche und erwünschte Aufwertung des Straßenraums aus. 

 

Die Frankfurter Straße wird gegenwärtig zwischen Friedhofsstraße und Peterstraße neu gestaltet. Die Baumaßnahme wird mit Landesmitteln nach dem GVFG bezuschusst. Daraus ergibt sich eine Zweckbindungsfrist von 15 Jahren, in der die geförderte Umbaumaßnahme nicht verändert werden darf. Mittelfristig ist ein Umbau bis zur Friedensallee vorgesehen.

 

Die Umgestaltung der Frankfurter Straße zwischen Friedhofstraße und Peterstraße wurde 2007 abgeschlossen. Die Frankfurter Straße ist die zentrale Achse zur Versorgung der Bevölkerung in Neu-Isenburg. Mit der begonnen Umgestaltung, die nach Norden bis zur Stadtgrenze Frankfurt am Main geführt wird, soll die zentrale Versorgungsfunktion gestärkt werden, indem die Straßenverkehrsflächen zugunsten von breiteren Gehwegen reduziert werden. Die Verbesserung der Gestaltung des öffentlichen Raums soll ein weiteres Absinken der Qualität von Läden und Geschäften verhindern. Mit der Beibehaltung der Straßenbahntrasse wäre keine gestalterische Aufwertung möglich.

 

Nach Abwägung der Interessen öffentlicher Belange untereinander, insbesondere der siedlungsstrukturellen Erfordernisse der Stadt Neu-Isenburg zur Versorgung der Bevölkerung, auch unter Würdigung und Gewichtung der Belange der Entwicklung des ÖPNV, kommt die Stadt Neu-Isenburg zu dem Ergebnis, dass diese Erfordernisse gegenüber den gegenläufigen Belangen überwiegen und daher gewichtigere Gründe für den Wegfall der Verlängerung der Straßenbahnlinie entlang der Frankfurter Straße sprechen.“ (StVO-Versammlung Neu-Isenburg, Drs. 16/1322 vom 11.11.2008, S.17) (Anm: Unterstreichung hinzugefügt).

 

Unsere Bewertung

Wir halten den Vorschlag des UVF, eine Straßenbahn durch die Frankfurter Straße in Mittellage ohne besonderen Gleiskörper vorzusehen für realisierbar und sinnvoll. 

In dem bereits erwähnten Gutachten des UVF zum Bau einer Straßenbahn durch die Frankfurter Straße aus dem Jahre 1996 wird bei einer eingleisigen Variante des Baus von einer Aufteilung der öffentlichen Verkehrsfläche wie folgt ausgegangen: Fahrbahnen für Automobile = 2 x 3,25 Meter, Parkstreifen = 2 x 1,75 Meter, Fußweg/Radweg = 2,50 – 3,00 Meter. Es ist also nicht ersichtlich, weshalb bei einem Bau der Straßenbahn durch die Frankfurter Straße bei eingleisiger Variante der öffentliche Verkehrsraum für die übrigen Verkehrsteilnehmer unzumutbar eingeschränkt würde. 

Aber auch bei zweigleisiger Variante wäre noch genügend Verkehrsraum vorhanden. Angesichts der Bedeutung des Massenverkehrsmittels Straßenbahn bei der vorliegenden Sachlage wäre es angemessen, die Straßenbahn zugunsten des ruhenden Verkehrs zu bevorzugen. Durch den Wegfall des Parkstreifens auf einer der beiden Straßenseiten wäre dieser Raum für eine doppelgleisige Verkehrsführung verfügbar. Über die gesamte Länge der Frankfurter Straße könnte abwechselnd mal links, mal rechts Parkraum für Kurzparker geschaffen werden. Alternativen für parkende Autos sind zudem mit den Parkdecks in der Ludwigstraße und dem Quartier 4 vorhanden. Die Anwohner der Frankfurter Straße werden zunehmend durch die Einrichtung des Anwohnerparkens begünstigt. Das Neu-Isenburg-Zentrum verfügt über eigene Kapazitäten.

Mit einer Straßenbahn könnte die Stadt einen wichtigen Teil vor Ort dazu beitragen, dass die Klimaschutzziele der Bundesregierung und der Europäischen Union umgesetzt werden. 

Die geforderte Senkung der CO2-Emissionen um 40% bis zum Jahr 2020 erfordert auch  lokale Einsparungen im Verkehrsbereich. Im Verkehrsbereich liegt das Einsparungspotential bei etwa 13 % (Umweltbundesamt, in: Klimaschutz in Deutschland; Studie 2007). Aufgrund physikalischer Vorteile – geringer Rollwiderstand, Rückgewinnung von Bremsenergie – sind Schienenfahrzeuge bestens geeignet, die Grundlast des Verkehrs vom Auto zu übernehmen. Wie schon so viele Umlandgemeinden in Ballungsräumen sollte auch Neu-Isenburg seinen Beitrag zum dringend notwendigen Erfolg des Klimapakts  erbringen. 

Die Fakten sprechen für sich: Mit der Straßenbahn durch die Frankfurter Straße würde die Straße ökologisch, wirtschaftlich und sozial wie ein Magnet den Verkehr anziehen, freilich nicht in Gestalt ineffizienter Personenbeförderung durch Autos, sondern durch Menschen, welche dieses Beförderungssystem nutzen würden. Mit der Straßenbahn würde die zentrale Versorgungsfunktion der Straße keineswegs beeinträchtigt, sondern sogar gesteigert. Eine Straßenbahn stellt kein Hindernis für die gestalterische Aufwertung einer Haupteinkaufsstraße dar, wie Beispiele vieler Städte in Deutschland und der Schweiz zeigen. 

Es ist bedenklich, in welcher Form und mit welchen sachlichen Argumenten die Verwaltung und politische Spitze der Stadt Neu-Isenburg in ihrer oben zitierten Stellungnahme an den UVF vom 11.11.2008 der bloßen Möglichkeit des Offenhaltens einer Option eines Ausbaus der Straßenbahn entgegentreten. Ungewöhnlich für eine an der Sache orientierten Verwaltungssprache ist, dass die Herausnahme aus dem Flächennutzungsplan „gefordert“ wird. Üblich wäre etwa: Der Magistrat vertritt weiterhin den Standpunkt“ usw. Bei der weiteren Begründung erregt das Wort „grundsätzlich“ dann Interesse. Die „grundsätzliche Ablehnung“ wird jedoch bedauerlicherweise nicht ausreichend begründet. Es werden unter Orientierung an dem Abwägungserfordernis die gegensätzlichen Belange zwar angeführt, jedoch ohne inhaltliche Abwägung ihrer Bedeutung in städtebaulicher, sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Bedeutung im Lichte der Erkenntnisse zur Realisierung des Projekts, wie kurzgefasst in diesem Text dargestellt.  

Es fehlt die Darstellung, weshalb die städtebauliche Gestaltung der Frankfurter Straße eingeschränkt würde, es sei denn, man hängt ihrer Verwendung als „automobile Achse“ weiterhin an. Der Gebrauch des Wortes „Versorgungsachse“ erschließt sich jedenfalls nicht. Durch die Straßenbahn würde die Versorgung, zum Beispiel der Bevölkerung mit Dienstleistungen durch den Nahverkehr, gerade nicht geschmälert. Ein „Absinken der Qualität von Läden und Geschäften“ ist erst recht nicht ersichtlich. Es drängt sich geradezu auf, dass durch die Frequenz und die Auslastung der Straßenbahn sowie ihres überörtlichen Anschlusses mehr nachfragende Kundschaft in die Frankfurter Straße gebracht werden würde als zuvor. Die „breiteren Gehwege“, die angelegt werden sollen, sind zwar positiv zu bewerten, tragen aber als einziges beachtliches dafürsprechendes Argument nur unzureichend. Die Realisierungsmodelle zeigen gerade, dass eine Straßenbahn nicht zu Lasten der Fußgänger gehen würde. Das wäre auch kontraproduktiv, weil die denkbaren weiteren Haltestellen Höhe >Bahnhofstraße< und >IsenburgZentrum<  enorme Fußgängerverkehre anzögen. 

Insgesamt ist die bereits zitierte Stellungnahme des Magistrats in der Form nicht angemessen und sachlich nicht überzeugend.

Könnte nicht die Aufstockung des Busverkehrs die Straßenbahn überflüssig machen ? 

Dies ist derzeit nicht der Fall. Die einzige überörtliche Buslinie von Bedeutung durch die Frankfurter Straße ist die Linie 653, die Dreieichenhain mit dem Südbahnhof Frankfurt am Main verbindet. Die Buslinien 662 (Bhf-Ostseite/Arheiligen) und 663 (Bhf-Ostseite/Mörfelden) bedienen die Frankfurter Straße nur abschnittsweise. Eine Aufstockung der Linie 653 dürfte Bedenken durch den RMV begegnen, weil die Buslinie zwischen der derzeitigen Endhaltestelle der Straßenbahn in Neu-Isenburg und dem Südbahnhof einen Parallelverkehr zum derzeitigen Angebot der Straba-Linie 14 darstellt. Unter Zugrundelegung der bisherigen Darlegungen könnte auch ein aufgestocktes Busangebot das erreichbare Aufkommen an Nutzern nicht decken. Ein Bus ist gegenüber einer doppelzügigen Straßenbahn in seiner Kapazität im Verhältnis 1 zu 4 unterlegen. Die aufgestockten Busfrequenzen nähmen am allgemeinen Verkehraufkommen teil, ganz im Gegensatz zur Straßenbahn, die auf eigenem Gleiskörper mit Vorrangschaltung pünktlich verkehren könnte. Eine Straßenbahn nach der vorgestellten Konzeption wäre zudem durchgängig, die Notwendigkeit des Umsteigens ohne Fahrzieländerung entfiele. Nach dem Nutzerverhalten steht der Bus außerdem im Ranking weit unterhalb der Straßenbahn. Busse sind für Umsteiger vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr in der Regel nicht attraktiv. 

Steht dem Ausbau der Straßenbahn die Zweckbindungsfrist von 15 Jahren durch den gegenwärtigen Ausbau der Frankfurter Straße entgegen ? 

Prinzipiell ja, im Einzelfall nicht unbedingt. Es ist Verhandlungssache, inwieweit die Stadt in Anspruch genommene Landesmittel zurückzahlen müsste, wenn eine maßgebliche Änderung der Verkehrswegeführung vor Ablauf der Zweckbindungsfrist erfolgen würde. Der Magistrat macht sich mit diesem Argument seine „Gefangenensituation“ zunutze, in die er sich selbst gebracht hat. Unabhängig davon kann er schon jetzt handeln:  

Er sollte den weiteren Ausbau der Frankfurter Straße in vorliegender Form stoppen und die Straßenbahnoption am Verkehrsknoten Frankfurter Straße/Rathenaustraße offenhalten.  

Faktisch sind die derzeitigen Ausbaupläne eine Entwicklungssperre für die Straßenbahn. Der Magistrat gießt seine Vorstellungen in Beton. Damit verringert er den verkehrspolitischen Spielraum für eine neue Poltikergeneration, die möglicherweise in der Zukunft, sei es durch Sachzwänge oder aufgrund neuer politischer Orientierung dem Projekt einer Straßenbahn in Neu-Isenburg freie Fahrt geben will.   

Verfasser: Montagsrunde im Januar 2009